
Lesenswert!
Regula Caviezel
"Blutweiderich"
128 Seiten, broschiert
Antium Verlag
ISBN 978-3-907132-20-3
Nesa erzählt: „Seit ich den Schlüssel bei mir trage, ist meine gläserne Welt brüchig geworden, hohe sirrende Töne künden das Zerspringen an, kaum vernehmbar mit dem menschlichen Ohr, es ist eher ein Gefühl als ein Ton, ein bebendes Spüren in mir drin, ja, ich finde es schön, das eigene Gefängnis zerspringen zu hören“. Das ist der erste Satz in der Erzählung der „Blutweiderich“ und ja, es ist ein langer Satz, aber noch lange nicht er längste Satz in diesem Buch. Solche Sätzen lesend, begleiten wir Nesa auf ihrem Weg aus dem namenlosen Unterland und aus ihrer Unterwürfigkeit zurück in ihr Heimatdorf und zu ihrer Selbstständigkeit. Der Schlüssel passt in die Haustür von Nesa’s Elternhaus, das sie viele Jahre nicht mehr besucht hat. Dieser Schlüssel steht aber auch sinnbildlich zum Finden der eigenen Persönlichkeit, nicht mehr nur Ehefrau und Magd sein. Die eigenen Entscheidungen treffen zu können, wird wichtig im Leben Nesas.
Sie lebt ein neues, oder ihr wieder gefundenes, Leben mit dem Garten und all den Pflanzen darin, sie kennt Blutweiderich und viele mehr. Dem Krausbärtigen, der ihr beim Teichaushub hilft, begegnet Nesa sehr scheu und zurückhaltend. Schlüsselblumen, Primula veris mit lateinischem Namen, helfen ihr, sich für Andere zu öffnen.
Sehr schön zu lesen ist, wie Nesa im Herbst ihres Lebens den Weg zu sich findet und sich auf diesem Weg nicht mehr durch ihr bisheriges Leben beirren lässt. Die Erzählung liest sich wie eine Ermunterung, das Leben in die eigene Hand zu nehmen. Dabei geht es nicht nur gradlinig zu und her, sowohl die Erzählung wie das Leben mäandrieren und es ist nicht klar, wie es endet, das Eine sowohl als auch das Andere. Auf jeden Fall lohnt es, sich auf Beides einzulassen.