Adidas und Zoccoli
Marco Frigg
Auf dem Cover zwei Schuhe, die unterschiedlicher nicht sein könnten: ein teurer Adidas, bequem und brandneu, und ein traditioneller «Zoccoli», altbewährt und mit harter Holzsohle. Deutlicher könnten die zwei Welten, in welchen der Ich-Erzähler in den 60er-Jahren aufwächst, nicht beschrieben werden. Obwohl Marco seine Kindheit und Jugend hauptsächlich in Chur verbringt, ist seine Geschichte eng mit dem Heimatdorf seiner Mutter, dem kleinen Bergdorf Valle im italienischen Veltlin, verwoben. Hier der Komfort der Stadtwohnung, dort die Kargheit des Landlebens, wo das Wasser noch im Brunnen geholt werden und ein Plumpsklo für die Notdurft reichen muss. Auch bei seinem guten Freund Primo zuhause - während Marco sich auf die Sommerferien und vor allem die schul- und hausaufgabenfreie Zeit im Veltlin freut, arbeitet Primo weiterhin auf dem Feld, sammelt Brennholz und hilft, die Tiere zu versorgen. Trotz den unterschiedlichen Lebenswelten verbindet die beiden Buben nicht nur denselben Jahrgang und Geburtsmonat, sondern auch eine Freundschaft voller Fantasie, Träume und Lausbubenstreiche, durchwoben von den Emotionen des Erwachsenwerdens und getragen von Loyalität.
Auf rund 200 Seiten spiegelt sich ein Kaleidoskop von Erinnerungen und Momentaufnahmen: Wir spazieren mit Marco über die Piazza von Valle, lauschen den Glocken von San Matteo und dem Rauschen der Plessur, schlendern durch die Gassen der Churer Altstadt, riechen den Sommerregen auf heissem Asphalt. Wir lesen von Identitätssuche, hin- und hergerissen zwischen den beiden Lebenswelten, überschattet von der Abwertung italienischer Staatsbüger:innen, welche nicht nur seine Mutter, sondern auch Marco selbst erleben muss – «du Tschingg!» hiess es in Chur in den 60er-Jahren und das nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Wir lesen vom teilweise holprigen Weg zum Erwachsen werden, von bezaubernden Mädchen und spiessigen Eltern.
Und wir lesen von Veränderung und Wandel, denn während Chur rasant wuchs in den letzten 60 Jahren, entvölkerten sich in Valle nicht nur die Wiesen und Ställe, sondern auch die Jungen zog es in die Städte, um dort zu arbeiten und zu leben. Mittlerweile leben in Valle nur noch eine Handvoll älterer Leute und die Glocken der Kirche San Matteo läuten nur noch zu hohen Feiertagen für Einheimische und Gäste.
Mit seinem neuen Buch wollte der Autor Marco Frigg keine Autobiografie schreiben, sondern vielmehr eine «Retrospektive auf ein Jahrzehnt der Veränderungen im Mikrokosmos eines Heranwachsenden», was ihm eindrücklich gelungen ist.